Der letzte Schrei(b)

Eigentlich und uneigentlich bin ich schon lang an der Grenze von Malerei und Schrift unterwegs. Und erst oder wieder oder nochmal anders. Also: Munch, der malende Schrei(b)hals, er lud ein. Ins Munchhaus. Sommer 2022. In Warnemünde (BRD ehem. DDR!) steht dieses Munchhaus. Edvard – von dem niemand wusste oder weiß, dass er übrigens auch ein hervorragender Klarinettist war – hielt sich selbst in Warnemünde auf. 1907/08. In einem kleinen alten Fischerhaus. Das heute als Kunstraum fungiert und seinen Namen trägt. Dort haben wir – Klasse Engelmann/Schäfer – diese Ausstellung gemacht. 5000 war der Titel. Weil Munch selbst, als er in Warnemünde war, 5000 Seiten produziert hat. Briefe, Skizzen, Notizen usw. Das hat uns fasziniert. Crasser Output halt. Jeden morgen soll er geschrieben, gezeichnet usw. haben. Tagsüber dann gemalt. Auch oben ohne. Am Strand. ‚Die Badenden‘ ist wohl in Warnemünde am Strand entstanden. Naja. Schönes Bild aber. Wie auch andere.

Der Maler auf der Leiter bzw. ‚Der Maler an der Hausfassade‘ ist ein tolles Bild von Munch. Kennt kaum jemand. Knausgård schreibt darüber in seinem Munchbuch. Mich beschäftigt das, so wie Munch ja auch. Dieses Hin- und Her zwischen Malen und Lackieren von z.B. Häusern, Gartenzäunen, Autos, Betonwänden usw. und dann dieses Malen, die Malerei als sogenannte Kunst. Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf, wie greifen Malen und Malerei ineinander. Und dann, weiterhin wichtig für Munch und für meine hiesige Auseinandersetzung mit ihm, seinem Werk, seiner Biografie und seine Themen, bewegt mich eben immer wieder die Frage: Wie greifen Malerei, Schrift und Zeichen ineinander? Das war die, fast könnte man sagen, Forschungsfrage in meinem Hinterkopf für diese Zeichnungen und Textfragmente, die hier entstanden sind.

Der letzte Schrei(b) ist natürlich ein titularer Witz, aber eben ein total ernst gemeinter. Nicht nur im Deutschen steckt der ‚Schrei‘ im Schreiben, auch im Französischen steckt der ‚cri‘ in ‚écrire‘. Barthes wusste das! Und der Schrei ist in der Malerei ja öfter behandelt worden. Ist auch einfach ein klasse malérisches Thema. Weil man die Malerei ja nicht hören kann. So wie man Fotos auch nicht riechen kann, eigentlich. Zwinkersmily. Munch hat auch gern fotografiert. Auch total experimentell. Im Munchhaus in der Veranda klebt auch ein Foto vom Munch, das er wohl mit Selbstauslöser geschossen hat. Man sieht ihn da sitzen und ihm fehlt ein Finger. Auch den hat er wohl weggeschossen. Mit einer Pistole. In einem Streit mit seiner Flamme. Selbstauslöser ist auch ein köstliches Wort. Sollte man öfter mal kosten. Gut. Also. Munch als Schreiber. Ist ja klar. Seine Malereien sind ja total die Geschichten, die Motive immer wieder aufführen, beinahe wie ein Theater ist das. Eine Erzählung. Die Geschichte ist seine Geschichte, sein Erleben, aber eben auch in einer Art so verallgemeinert, dass er’s schafft eine Art persönliche wie gleichsam allgemeingültige Geschichte zu … pinseln. Mit dem Pinsel schreiben. Das ist schön.

Sonstiges: Im Innenhof des alten Munchhauses steht ein wunderschöner uralter Birnenbaum. Das ist, finde ich, erwähnenswert. Außerdem ist erwähnenswert: das liebevolle Engagement meiner Kolleg*innen und Klassenkamerad*innen und auch das Engagement der sanften Chefs Albrecht Schäfer und Antje Engelmann. Die alle haben – ich bin immer noch sowas von gerührt! – meine Zeichnungen mit nach Warnemünde genommen und aufgehangen, weil ich Corona bekam (#daskrankekind), ein paar Tage vor der Ausstellung. Ich danke euch viele viele Male! Als ich zu Hause schwitzend im Bett lag und ein Foto von der Hängung – die ich in ihrer lockeren Strenge sehr gelungen finde – bekam, da bin ich ein bisschen ausgeflippt. Danke Dhan, dass du die Zeichnungen mitgenommen hast. Und danke Yun, Mano, Sigune, Albrecht, Antje, Mahmoud, dass ihr mehrere Stunden Arbeit und Zeit ins Hängen gesteckt habt! Danke natürlich auch ans Munchhaus, insbesondere an Petra Schmidt Dreyblatt fürs Möglichmachen und an Rita Helm für die grandiose Betreuung der Ausstellung und viele liebe und spannende Gespräche.

Fußnote: Alle Zeichnungen sind mit Filzstift auf A4-Papier (170g) gepinselt, die Schrift am Fuße der Seiten wurde in blauer Tinte mit einem Füllfederhalter geschrieben.